Marilyn Manson war im letzten Jahr dabei…Foto: Christof Graf
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Gefallene Engel im Schatten der Nacht
Bob Dylan wird heute 75 – Was uns die Rocklegende in Saarbrücken und Mainz 2015 vorenthielt
Von unserem Mitarbeiter
CHRISTOF GRAF
Wenn Bob Dylan, alias Robert Allen Zimmerman
(in Duluth, Minnesotta geboren), heute am 24. Mai
2016 seinen 75. Geburtstag feiert, weiß man nicht
wo, wie und mit wem er ihn feiert. Es gibt zwar über
500 Bücher über den neben Leonard Cohen wohl
bedeutendsten Singer/ Songwriter des
20./21. Jahrhunderts, aber über sein Privatleben
ist kaum etwas bekannt. Seit seinem Motorradunfall
1966 zog er sich zurück und liess kaum mehr etwas
über sein Privates verlauten.
Ja, er führte zwei Ehen (mit Sara 1965–1977 und
Carolyn Dennis 1986–1992), ist Vater von (offiziell)
sechs Kindern und lebt mit einer Lebensgefährtin in
Malibu/ Kalifornien, wenn er nicht gerade auf der
seit 1988 währenden „neverending tour“ ist. Dylans
Privatleben ist tabu, seine Kunst aber
zum gesellschaftlichen Allgemeingut geworden. Pressegespräche
und Medienkontakte gibt es selten. Dylan
schreibt, singt, komponiert, schweißt Metalskulpturen
und malt, das reicht. Bob Dylan selbst ist längst Gesamtkunstwerk unserer
Zeit, das wie kein anderes von Dylanologen weltweit
akribisch dokumentiert und analysiert wird.
Kurz vor seinem 75. Geburtstag erscheint mit „Fallen
Angels“ sein 37. Studio-Album im sechsten
Jahrzehnt seines künstlerischen Schaffens. Viel zu viel werden
die Feuilletonisten auf das verwiesen, was Dylan in der Vergangenheit machte,
viel zu wenig wird auf das eingegangen, was Dylan derzeit tut.
Dylan verabschiedet sich (wieder einmal) von seiner
eigenen Geschichte, häutet sich und erfindet sich
(wieder einmal) neu.
Selbst die „Neverending Tour“, dadurch geprägt, dass Dylan seit 1988
keines seiner jährlich etwa einhundert Konzerte gleich klingen
lässt, scheint Teil einer erneuten Häutung zu sein. Neue und andere
Inhalte kommen hinzu. 2015, das Jahr in dem ein anderer großer
Vertreter amerikanischer Popkultur ein Hundert Jahre alt geworden wäre,
gilt als Dylans „Sinatra Jahr“. Dylan brachte 2015 das Album „Shadows
In the Night“ heraus. Dylan versuchte sich damit als Interpret von
Hits und Evergreens aus dem Great American Songbook, die man bis
dahin zumeist mit Frank Sinatra in Verbindung gebracht hatte. Arrangiert
ist das Album für die sogenannte ›kleine‹ Band. Aufgenommen wurde ganz
klassisch in ein oder zwei Takes. Dylan transferiert Songs aus dem
20. ins 21. Jahrhundert und macht sie im kollektiven Gedächtnis
„Fallen Angels“ ist quasi der zweite Teil der damaligen Aufnahmesession,
bestehend aus zwölf weiteren Songs, die damals nicht mitveröffentlicht
wurden. Damit macht sich der Rockmessias und seinen Jüngern ein perfektes
Es sind keine eigenen Kompositionen, sondern Verbeugungen
vor dem überreichen amerikanischen Liedgut, die bis in die vierziger Jahre
zurückreichen. Natürlich klingt es nicht wie Sinatra und Big Band.
Es klingt wie Dylan, der damit einen neuen Blick auf in Vergessenheit
geratene Songs eröffnet. Waren es
bei „Shadows In the Night“ noch hauptsächlich durch Sinatra
bekannt gewordene Nummern, sind auf „Fallen Angels“, jene Klassiker
aus dem „Great American Songbook“ zu hören, die mit anderen, weniger
bekannten Interpreten in Verbindung stehen. Dylan reduziert sie
auf das Wesentliche, indem Pomp, Show und große Bühne wegfallen.
Und das erlebte man 2015 auch auf Dylans Konzertreise, die nach 28 Jahren
erstmals tatsächlich anders war. Ja, Dylan tat schon immer gern das,
was man nicht von ihm erwartete, aber in seinem „Sinatra Jahr“ war
wirklich alles anders, denn alles war gleich. Und er kam sogar gleich zwei
mal nach Deutschland und auch in unsere Region. Im Sommer 2015 gab er
ein Open Air-Konzert in Mainz, im Herbst eines in Saarbrücken.
Beides Städte, in denen er erst je zwei Mal im Rahmen
von knapp 3000 „neverendingtour“-Konzerten auftrat.
Im Frühjahr wirkten die ersten Konzerte in den USA
noch wie Proben. Im Sommer überraschte er in Mainz sein Publikum, das
längst schon kein „Best Of“-Programm mehr erwartet, bereits mit Premieren
wie z.B. dem zuvor noch nicht live-gehörten Sinatra-Song
„Full Moon and Empty Arms“ . Gitarre spielte er nicht mehr,
dafür saß am „Grand Piano“ oder gab sich frank-a-like tänzelnd am Steh-
Die Konzerte im Herbst wurden schließlich geradezu perfektioniert. Von
Oktober bis November gab es so gut wie keine Veränderung.
In Saarbrücken begann Dylan wie überall sonst auch mit dem apokalyptisch anmutenden „Things
Have Changed“ , spielte neben fünf „Sinatra-Songs“ keinen einzigen Song aus den 70er
und 80ern, vieles vom „Tempest“-Album (2012) und neben einer von zwei Zugaben
im 20-Song-Set keinen typischen Dylan-Song wie eben „Blowin`In the Wind“ mehr.
Dylan 2015 war anders. Und das Saarbrücker Publikum honorierte es mit
andächtigem Zuhören. Neu war auch, daß er zum damaligen Zeitpunkt
schon noch nicht veröffentlichte Songs („All Or Nothing At All“ und
„Melancholy Mood“) des aktuellen Albums vorstellte.
Kein Konzert wurde danach mehr variiert, die Setlist blieb gleich
und es blieb nicht aus, was ausbleiben musste: Jedes Konzert wurde
besser und besser. Dylans Stimme war plötzlich ungewohnt akzentuiert und
das Zusammenspiel der wie ein Kammermusik-Orchester wirkenden
Band war geradezu perfekt. Das Anliegen Bob Dylans war 2015 erstmals ein anderes
und wurde auch h mit den ersten Konzerten 2016 in
Tokio bestätigt: Dylan will spätestens jetzt mit 75 Jahren wieder einmal
ein anderer sein und zwar der, der wie kein anderer Vergangenheit und
Gegenwart zu vereinen weiß.
Die Konzerte in Mainz und Saarbrücken 2015 stehen beispielhaft
für eine Wende, die Dylan derart noch nie zelebriert hat. Und nein,
es sind keine Coverversionen, die er da auf „Shadows in The Night“
und „Fallen Angels“ zweckentfremdet. Es geht nicht mehr um die
ewig anmutende Rapture des eigenen etwa 500 Songs enthaltenden
Gesamtkunstwerks, jetzt geht es um die Überlieferung alten
amerikanischen Liedgutes, das ohne das Zutun von Dylan vielleicht gar nicht
mehr gehört werden würde. Dylan als „Werk“, der
aufgrund seiner wie Masken wirkenden Häutungen
gerne als „Shakespeare des Rock“ genannt wird, umfasst
die Größe des Landes, in dem er vor 75 Jahren geboren wurde.
Seine Songs sind wie der Speicher eines Propheten der
Pop-Welt, der unermüdlich praktiziert.
Nein, es war nicht Bob Dylan,
der zu den bedeutendsten Interpreten des Great American Songbook zählte,
es waren die Namen von Louis Armstrong, Fred Astaire oder eben Frank Sinatra.
Deren Musik hörte man in den 70ern und 80ern noch aus
den Limousinen amerikanischer GIs, als die auch durch
Zweibrücker Straßen kreuzten. Aber ja, es ist Bob Dylan,
der nun mehr nicht nur auf die Songs, sondern auch auf
deren Interpreten aufmerksam macht, die aus einer Zeit kommen,
in den Cadillacs über den Sunset Boulevard cruisten, in Filmen
noch geraucht wurde und Menschen gar nicht wussten,
was Globalisierung, Digitalisierung und ein Smartphone sind.
Happy Birthday, Bob und Danke für Dein Geburtstagsgeschenk.
Über den Autor: Prof. Dr. Christof, Jg. 1963 publizierte mehrerer Bücher über Bob Dylan und Leonard Cohen. Im Herbst erscheint sein neues Buch „Bob Dylan – Schatten in der Nacht“. Auszüge davon gibt es bereits im Netz unter: blog.leonardcohen.de unter der Domain www.cohenpedia.de
Bildzeilen:
- Bob Dylan stellte 2015 mit „Full Moon and Empty Arms“ in Mainz den ersten „Shadows In The Night“ Song in Deutschland vor.
- Transportiert amerikanisches Liedgut vom 20. Ins 21. Jahrhundert: Bob Dylan, der am 24.5. 75 Jahre alt wird.
- So verabschiedete sich Bob Dylan 2015 vor seinem Saarbrücker und Mainzer Publikum.
Fotos: Christof Graf