„Another Masterpiece in Frankfurt“ (German Version, scroll down for English Version)
Als Dylan in Frankfurt a.M. / Germany ankam, hatte er bereits den Tourauftakt in Prag am 4. Oktober mit gleich drei Konzerten absolviert: Danach folgten der Deutschlandtourneeauftakt in Erfurt, drei Konzerte in Berlin und ein Konzert in Nürnberg.
Bei den ersten beiden Prager Konzerten experimentierte er noch mit der Setlist. Er spielte „Dignity“ anstatt „Watching The River Flow“. Spätestens beim dritten Prager Auftritt hatte er sein Konzertformat determiniert. Änderungen gab es seitdem in der Setlist nicht mehr. Aber, ob sich daran was ändern würde, weiß man ja vorher nie wirklich. Nach dem ersten von drei Konzerten des Frankfurter Konzertmarathons vom 16. Bis 18. Oktober 2024 wusste man es. „Things have not changed“. Die Setlist blieb unverändert.
Die altehrwürdige Frankfurter Jahrhunderthalle in Frankfurt-Höchst liegt inmitten eines Wohn- und Gewerbegebietes im Westen Frankfurts, 15 Kilometer von „Main-City“ entfernt. Mit etwa 2000 Sitzplätzen war sie so gut wie ausverkauft. Die Stimmung vor dem Konzert war geradezu ungewohnt entspannt. Vom Tourneeveranstalter via e-mail angekündigte Body-Checks blieben aus. Lediglich die Smartphones mussten in die mittlerweile seit Beginn der „Rough And Rowdy Ways“-Tour bekannten Yondr-Pockets verschlossen werden. Einlass in die Halle war um 18.30. Alles, was in der Rock- und Pop-Szene einen Namen hat, ist seit 1963 dort aufgetreten. Auch Bob Dylans „Vorbild“ Frank Sinatra hat 1975 dort gespielt.
Mit zwei Gongs wurde der pünktliche Beginn um 20.00 Uhr eingeläutet. Dann erlosch das Saallicht und tatsächlich flimmerte kein einziger Smartphone-Bildschirm auf. Welcome again to the phone-free-experience of Bob Dylan 2024.
Seit seinem ersten Berliner Konzert hieß es, Dylan würde bei den ersten zwei Songs Gitarre spielen. Ich war gespannt. Doch das Bild entsprach nicht der Erwartungshaltung. Dylan kam aus dem Dunkel auf die Bühne, schritt zu seinem Baby Grand Piano, setzte sich und stimmte den ersten Song an. Der war die ersten zwei Spielminuten noch nicht als der zu erkennen, der er werden würde. Ein unaufdringlich, aber dennoch treibender Rhythmus leitet in den Song ein und Dylan wendet sich sitzend mit dem Rücken seinem Publikum zu. Er greift zu einer neben dem Piano liegenden elektrischen Gitarre. Zu seinem Schlagzeuger und Bassisten schauend spielt er tatsächlich sitzend Gitarre. Dann legt er das Instrument schnell wieder weg und konzentriert sich auf seine Piano-Tasten. Die ins Mikrofon mehr gesprochenen als gesungenen Worte „there must be some kind of way out of here/ said the joker to the thief“ verraten schließlich, dass es sich um den Opener „All Along The Watchtower“ handelt. Ein erster Szeneapplaus vom Publikum ist die Folge. Ähnlich geht Dylan beim zweiten Song, „It Ain`t Me, Babe“ vor. Ein wenig mutet die Szene wie eine Art Rehearsal an, als wolle sich die Band um Tony Garnier (electric and standup bass), Jim Keltner (drums), Bob Britt und Doug Lancio an den elektrischen und akustischen Gitarren) mit Songs aus den 60ern und 8oern Jahren erst noch etwas einspielen.
Danach leitete „I Contain Multitudes“ in die Stimmungslage Dylans ein und die Songzeilen der sechsten Strophe „I’m a man of contradictions/ I’m a man of many moods/ I contain multitudes“ stehen für das, was Dylan auf dieser dreijährigen Tournee zelebriert: Die Vorstellung seines 2020 in der Pandemie veröffentlichen Albums „Rough And Rowdy Ways“.
Lediglich das knapp 17 minutenlange „Murder Most Foul“ fehlt in der Live-Darbietung. Dafür gibt es ein fast zehnminütiges „Key West“ (Philosopher Pirate), bei dem die Band angestrengt das tut, was sie den ganzen Abend macht, sich professionell zurücknehmen, um dem „Meister der Worte“ Raum zu lassen. „Key West“ ist leise. Es wird lediglich von zarten Klängen untermalt, um nicht von Dylans erzählten Geschichte abzulenken, die er mehr vorträgt als singt. Dafür wurde zuvor bei dem anfänglich auch nicht als „Desolation Row“ erkennbaren Song wieder lauter gespielt.
Anfangs wirkt Dylan noch etwas unsicher, wenn er sich vom Piano erhebt und ein wenig zur Bühnenmitte schreitet. Nie macht er schnelle Schritte. Nie entfernt er sich allzu weit vom wie eine Stütze wirkenden Piano. Dylan wirkt dabei fragiler als bei den Konzerten der Outlaw-Festival Tour in den USA in diesem Sommer. Doch von Song zu Song werden er und seine Band spielsicherer. Die fünf Musiker leben den langsam wie schnellen Blues. Anfangs hört man noch kleine Verstimmungen, hier und da eine falsch angespielte Note oder ein misslungener Einsatz, aber sehr schnell verdichtet sich das Konzert zu einem wahren „Masterpiece“. Neun Songs vom „Rough And Rowdy Ways“-Album spielt Dylan. Am Ende betten „Watching The River Flow“ (1971) und das finale „Every Grain Of Sand“ die Songs „Mother Of Muses“ und „Goodbye Jimmy Reed“ ein. Nach gut 90 Minuten ist Schluß. Es gibt weder eine Pause oder eine „Band Introduction“, noch richtete Dylan auch nur ein einziges Mal ein Wort an sein Publikum. Die vier Begleitmusiker wurden während des Gigs an verschiedenen Stellen einzeln vorgestellt. Bob Britt nach „I Contain Multidudes“, Doug Lancio nach „When I Paint My Masterpiece“, Jim Keltner nach „My Own Version Of You“ und Tony Garnier nach „Black Rider“. Das Publikum, bestand an diesem Abend vorwiegend aus Babyboomern, von denen einige in Begleitung der nachrückenden Generation waren und alle Zeuge eines ganz besonderen Konzerterlebnisses wurden. Sie machten eine cell-phone-free-Erfahrung, die eher dem Besuch in einem Jazz- oder Blues-Club ähnelte als dem Besuch bei einer Künstlerpersönlichkeit, deren Konzertreisen altersbedingt zwar „rough and rowdy“ zu sein scheinen aber diesem Umstand gezollt, wohl auch gezählt sind. Thankyou, Bob, dass wir wieder bei der Entstehung eines deiner „Masterpieces“ dabei sein durften. Selten habe ich live eine so gelungene Melange von Dylans Liedern aus vier Jahrzehnten gehört. Eine Melange, die es geschafft hat, nicht der eh nicht erfüllten Erwartungshaltung, Klassiker spielen zu müssen und dennoch Material aus dem Backkatalog zu offerieren. „The Times They Are-A-Changin“, war die einstige Schlachthymne für die Protestszene vom gleichnamigen dritten Studio-Album aus dem Jahre 1964. Sie ist 60 Jahre später nicht mehr von Nöten, gesungen zu werden, der Inhalt ist längst im kollektiven Gedächtnis verankert. „Things Have Changed“ (2000), ein Song, für den Bob Dylan einst einen Oscar gewann und in dem er Gedanken eines alternden Mannes über den Zustand der Welt teilt, wird auch nicht mehr gespielt. 2024 heißt es „Things Aren`t What They Were“, wie es in seinem dreizehnten Song (von insgesamt siebzehn) „I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You“ heißt. Conclusio: 2024 verbreitet Bob Dylan keine Botschaften mehr (sofern er das je getan hat). 2024 erzählt Bob Dylan Geschichten und stellt fest: I traveled the long road of despair/ I met no other traveler there/ A lot of people gone, a lot of people I knew/ I’ve made up my mind to give myself to you. Schön war es, bei einer Station auf Bob Dylans „Rough And Rowdy Ways“-Reise und beim Erzählen seiner Geschichten in Frankfurt dabei gewesen zu sein.
„Another Masterpiece in Frankfurt“ (English version)
When Dylan arrived in Frankfurt a.M. / Germany, he had already completed the tour kick-off in Prague on October 4 with three concerts: This was followed by the German tour kick-off in Erfurt, three concerts in Berlin and a concert in Nuremberg.
At the first two Prague concerts, he still experimented with the setlist. He played „Dignity“ instead of „Watching The River Flow“. By the third Prague performance at the latest, he had determined his concert format. There have been no changes in the setlist since then. But you never really know beforehand whether that would change. After the first of three concerts of the Frankfurt Concert Marathon from October 16 to 18, 2024, it was known. „Things have not changed“. The setlist remained unchanged.
The venerable Frankfurt Jahrhunderthalle in Frankfurt-Höchst is located in the middle of a residential and commercial area in the west of Frankfurt, 15 kilometers from „Main-City“. With about 2000 seats, it was almost sold out. The atmosphere before the concert was almost unusually relaxed. Body checks announced by the tour organizer via e-mail failed to materialize. Only the smartphones had to be locked in the Yondr pockets, which have been known since the beginning of the „Rough And Rowdy Ways“ tour. Admission to the hall was at 6.30 p.m. Everyone who has a name in the rock and pop scene has performed there since 1963. Bob Dylan’s „role model“ Frank Sinatra also played there in 1975.
With two gongs, the punctual start at 8:00 p.m. was heralded. Then the hall lights went out and in fact not a single smartphone screen flickered. Welcome again to the phone-free-experience of Bob Dylan 2024.
Since his first Berlin concert, it was said that Dylan would play guitar on the first two songs. I was curious. But the picture did not meet expectations. Dylan came out of the darkness onto the stage, stepped up to his baby grand piano, sat down and sang the first song. For the first two minutes of the game, he was not yet recognizable as who he would become. An unobtrusive, yet driving rhythm introduces the song and Dylan turns his back to his audience while sitting. He reaches for an electric guitar lying next to the piano. Looking at his drummer and bassist, he actually plays the guitar while sitting. Then he quickly puts the instrument away again and concentrates on his piano keys. The words „there must be some kind of way out of here/ said the joker to the thief“, spoken into the microphone more than sung, finally reveal that it is the opener „All Along The Watchtower“. A first scene applause from the audience is the result. Dylan takes a similar approach to the second song, „It Ain’t Me, Babe“. The scene seems a bit like a kind of rehearsal, as if the band around Tony Garnier (electric and standup bass), Jim Keltner (drums), Bob Britt and Doug Lancio on electric and acoustic guitars) wanted to get used to songs from the 60s and 80s.
After that, „I Contain Multitudes“ introduced Dylan’s mood and the song lines of the sixth verse „I’m a man of contradictions/ I’m a man of many moods/ I contain multitudes“ stand for what Dylan celebrates on this three-year tour: The presentation of his album „Rough And Rowdy Ways“, released in 2020 during the pandemic.
Only the almost 17-minute long „Murder Most Foul“ is missing from the live performance. Instead, there is an almost ten-minute „Key West“ (Philosopher Pirate), in which the band strains to do what they do all evening, taking a professional step back to leave room for the „master of words“. „Key West“ is quiet. It is only accompanied by delicate sounds so as not to distract from Dylan’s story, which he recites more than sings. Instead, the song, which was initially not recognizable as „Desolation Row“, was played louder again.
At first, Dylan seems a bit insecure when he rises from the piano and strides a little to the middle of the stage. He never takes quick steps. He never strays too far from the piano, which acts like a support. Dylan seems more fragile than at the concerts of the Outlaw Festival Tour in the USA this summer. But from song to song he and his band become more confident in playing. The five musicians live the slow and fast blues. At first you can still hear small detunings, here and there a wrongly played note or a failed entry, but very quickly the concerto condenses into a true „masterpiece“. Dylan plays nine songs from the „Rough And Rowdy Ways“ album. At the end, „Watching The River Flow“ (1971) and the final „Every Grain Of Sand“ embed the songs „Mother Of Muses“ and „Goodbye Jimmy Reed“. After a good 90 minutes, it’s over. There is no intermission or a „band introduction“, nor did Dylan say a single word to his audience. The four accompanying musicians were introduced individually at various points during the gig. Bob Britt after „I Contain Multidudes“, Doug Lancio after „When I Paint My Masterpiece“, Jim Keltner after „My Own Version Of You“ and Tony Garnier after „Black Rider“. The audience on this evening consisted mainly of baby boomers, some of whom were accompanied by the next generation and all witnessed a very special concert experience. They had a cell-phone-free experience that was more like a visit to a jazz or blues club than a visit to an artistic personality whose concert tours seem to be „rough and rowdy“ due to their age, but are probably also numbered due to this circumstance. Thankyou, Bob, for allowing us to be part of the creation of one of your „masterpieces“ again. Rarely have I heard such a successful melange of Dylan’s songs from four decades live. A melange that has managed not to meet the already unfulfilled expectation of having to play classics and still offer material from the back catalogue. „The Times They Are-A-Changin“ was the former battle anthem for the protest scene from the third studio album of the same name from 1964. 60 years later, it is no longer necessary to be sung, the content has long been anchored in the collective memory. „Things Have Changed“ (2000), a song for which Bob Dylan once won an Oscar and in which he shares an aging man’s thoughts about the state of the world, is also no longer played. In 2024, it’s „Things Aren’t What They Were“, as it says in his thirteenth song (of seventeen in total) „I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You“. Conclusion: In 2024, Bob Dylan will no longer spread messages (if he ever did). In 2024, Bob Dylan tells stories and states: I traveled the long road of despair/ I met no other traveler there/ A lot of people gone, a lot of people I knew/ I’ve made up my mind to give myself to you. It was nice to have been part of a stop on Bob Dylan’s „Rough And Rowdy Ways“ journey and to have been told his stories in Frankfurt.
Die Setlist:
1. | All Along the Watchtower (Bob on guitar and baby grand piano) |
2. | It Ain’t Me, Babe (Bob on guitar, baby grand piano and harp) |
3. | I Contain Multitudes (Bob on baby grand piano)(Bob introduced Bob Britt at the end) |
4. | False Prophet (Bob on baby grand piano) |
5. | When I Paint My Masterpiece (Bob on baby grand piano and harp)(Bob introduced Doug Lancio at the end) |
6. | Black Rider (Bob on baby grand piano)(Bob introduced Tony Garnier at the end) |
7. | My Own Version Of You (Bob on baby grand piano)(Bob introduced Jim Keltner at the end) |
8. | To Be Alone With You (Bob on baby grand piano) |
9. | Crossing the Rubicon (Bob on baby grand piano) |
10. | Desolation Row (Bob on baby grand piano and harp) |
11. | Key West (Philosopher Pirate) (Bob on Nord Electro 6 keyboard and baby grand piano) |
12. | It’s All Over Now, Baby Blue (Bob on baby grand piano and harp) |
13. | I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You (Bob on baby grand piano) |
14. | Watching the River Flow (Bob on baby grand piano) |
15. | Mother of Muses (Bob on baby grand piano and harp) |
16. | Goodbye Jimmy Reed (Bob on baby grand piano and harp) |
17. | Every Grain of Sand (Bob on baby grand piano and harp) |