KW-02-2016: Leonard Cohen und … Steven Wilson. Reminiszenz an die Musik der Zukunft. Steven Wilson eröffnet am 12. Januar in Stuttgart seine Konzertreise 2016 – von Christof Graf

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Foto: Christof Graf

Reminiszenz an die Musik der Zukunft

Steven Wilson eröffnet in Stuttgart seine Konzertreise 2016

Seine musikalischen Wurzeln sind schon lange nicht mehr zu leugnen. Das musikalische Erbe, das er angetreten hat, ist unüberhörbar. Selbst seine Helden, wie z.B. Jethro Tull oder Marillion nehmen seine Kompetenzen als Produzent und Remastering- und Remixing-Experte in Anspruch. Einige, wie z.B. Alan Parsons arbeiten sogar musikalisch mit ihm zusammen. Steven Wilson hat sich zu einem bedeutenden Musiker der Jetztzeit entwickelt. Das hat der Brite mit seiner Band Porcupine Tree bewiesen und das beweist er aktuell beim 2016er „Hand. Cannot. Erase“-Tourneeauftakt in Stuttgart als Solokünstler einmal mehr.

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Foto: Christof Graf

Die Filmsequenzen, die etwa zehn Minuten vor dem pünktlichen Beginn um 20.00 Uhr im fast ausverkauften Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle gezeigt werden, proklamieren, was Steven Wilson schon gleich nach dem ersten Song “First Regret”, den er noch an seinem Retro-Keyboard verbringt, ankündigt: „Im ersten Teil des Abends werden wir das komplette „Hand. Cannot. Erase“-Album spielen“. Gesagt, getan, wechselt Wilson schnell zur elektrischen und auch akustischen Gitarre und erzählt progressiv die Geschichte des Albums.

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Foto: Christof Graf

Es ist die Geschichte von Joyce Vincent, einer jungen Londonerin, die fast drei Jahre lang tot in ihrer Wohnung lag und offenbar von niemandem vermisst wurde. „Als ich davon erfuhr , begann ich mich für diese Frau zu interessieren“, erzählte er vor Beginn der Tournee im Interview. „Ich war völlig überrascht, dass es sich entgegengesetzt meiner Annahme, nicht um eine alte, sondern um eine junge, attraktive und beliebte Frau handelt. – Von Tragödien dieser Art hört man immer öfters“, so Wilson. Mit seinem Entsetztsein beginnt Wilson tief in die düstere Geschichte einzutauchen, die für ihn symptomatisch für das Leben in einer Großstadt im 21. Jahrhundert ist. Und daran lässt er auch mit den konstant filmisch umgesetzten Bewegtbildern im Bühnenhintergrund sein Publikum dank einer psychedelischen Anmutung teilhaben. Steven Wilson erschafft damit ein zeitloses Progressive-Rock-Werk mit großer Reminiszenz an die Prog-Rock-Künstler der 70er Jahre. Er schafft mit der musikalischen wie auch filmischen Umsetzung seines vierten Solo-Albums ein anmutiges Meisterstück, als eine Art Blick in die Musik der Zukunft. Steven Wilson schafft dadurch ein Produkt, das wie das von Pink Floyd, Genesis oder King Crimson 2016 klingen würde. Nach knapp 60 Minuten, in denen er auch der femininen Stimme des Albums, in Person von Ninet Tayeb für zwei Songs („Routine“ und „Ancestral”) Raum gibt, geht der erste Teil des Konzertabends zu Ende.

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Foto: Christof Graf

Danach folgen Songs aus der Zeit mit seinen Bands Porcupine Tree, Blackfield oder Storm Corrosion sowie Material älterer Solo-Alben. Wilson verwirklicht seinen psychedelischen Traum zwischen Rock, Metal und Alternative in Prog-Anmutung. Steven Wilson gibt sich zu Beginn des zweiten Teils zunächst in klassischer Singer/ Songwriter-Manier, wenn er vom Barhocker herunter das „Storm Corrosion-Cover“ Drag Ropes interpretiert, den „Porcupine Tree Song“ Open Car oder aber auch erstmals „My Book of Regrets“ vom neuen „4 ½“-Album vorträgt. Wilson bedient sich hörbar bei großen Vorbildern wie „The Dark Side Of The Moon“, benutzt zeitgemäße Elektronik, verschleppt Trip-Hop-Rhythmen und verwendet klassische Pop-Strukturen. Das gesamte Konzert, bei dem später noch mal Ninet Tayeb auftritt, wirkt wie ein musikalisches Gemälde, bestehend aus Mosaikstücken verschiedener Musikstilelemente, die man von Bands wie Genesis, King Crimson, Yes kannre, und von Wilson neukreiert wird. Die Dramaturgie des Gesamtbildes erkennt man am Ende des Konzertes. Dann hat der der 47jährige Multiinstrumentalist Wilson zunächst eine Geschichte erzählt, die nicht seine eigene ist, die ihn aber bewegte. Danach spielt er Musik seiner Vergangenheit und macht daraus Musik für die Zukunft. Das Publikum, bestehend aus Mittzwanzigern und Überfünfzigern dankt es mit höchster Aufmerksamkeit und kapitulierender Begeisterung für die Klangwand-Melange von Prog-Rock-Revival und Progressive Metal, die mit den Zugaben „The Sound of Muzak“ und „Dark Matter“ noch mal zwei Porcupine Tree-Songs erweitert wird. Die hohe Kunst der Dramaturgie, wie Singer/ Songwriting-Kultur musikalisch (aus-)gelebt werden kann, hat Steven Wilson einmal mehr bewiesen.

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Foto: Christof Graf

Setlist/ Stuttgart, 12.1.2016, Liederhalle

1.First Regret

2.Years Older

3.Hand Cannot Erase

4.Perfect Life

5.Routine

(with Ninet Tayeb)

6.Home Invasion

7.Regret #9

8.Transience

(live debut)

9.Ancestral

(with Ninet Tayeb)

10.Happy Returns

11.Ascendant Here On…

 

Second Set

12.Drag Ropes

(Storm Corrosion cover)

13.Open Car

(Porcupine Tree song)

14.My Book of Regrets (4 ½)

15.Index

16.Lazarus

(Porcupine Tree song)

17.Don’t Hate Me

(Porcupine Tree song) (with Ninet Tayeb)

18.Vermillioncore (4 ½)

(live debut)

19.Sleep Together

(Porcupine Tree song)

 

Encore:

20.The Sound of Muzak

(Porcupine Tree song)

21.Dark Matter

(Porcupine Tree song)