Photos by © Christof Graf
Cohen in Los Angeles, Bowie in New York, der eine Brite, der andere Kanadier; beide seit Jahrzehnten in den USA lebend, der eine an der Ostküste, der andere an der Westküste. Sie scheinen sich tatsächlich niemals je über den Weg gelaufen zu sein, auch wenn sie auf den ganz großen Bühnen und Festivals dieser Erde, bei Verleihungen von Oscars, Grammys, Emmys und sonstigen Awards oder gar bei Aufnahmen in die „Rock’n’Roll Hall Of Fame“ eingeladen waren. Ja, sie trafen auch die anderen ganz Großen, wie Jagger, McCartney oder Dylan, aber nie einander. Am Ende sind sie dennoch Brüder im Geiste, als sie jeweils bereits kurz vor ihrem Tod das Requiem, das Sterbeamt und die heilige Messe mit zwei zuvor nie dagewesenen Abschiedswerken bestellten.
Bowies „Blackstar“ und Cohens „You Want It Darker“ sind so erstaunliche musikalische Abschiede, wie sie zuvor höchstens noch von Johnny Cashs „Abschiedsalbum“ thematisiert wurden.
Die Todesahnung
Die Vermutung lag nahe, dass es Leonard Cohens letztes Album sein würde, als er es im Rahmen eines Kamingesprächs am 16. Oktober 2016 in Los Angeles, eine Woche vor Veröffentlichung am 21. Oktober, einer kleinen Gruppe aus aller Welt angereister Medienvertreter in der dortigen Botschaft Kanadas vorstellte. Schon die Vorbereitung und Durchführung dieses letzten öffentlichen Gespräches von Leonard Cohen glich der Vorbereitung eines Schwanengesangs. Neunzehn Tage danach starb er und es fühlte sich an wie eine Wiederholung von David Bowies Ausstieg aus dem Leben zu Beginn des Jahres 2016. Von Cohens Krankheit wusste man bedingt oder erahnte sie zumindest. Im US-Kulturmagazin NEW YORKER wies er schon darauf hin, dass er bereit sei, zu sterben und in FACEBOOK postete er, als er vom Sterben seiner einstigen Muse Marianne Ihlen hörte, dass er ihr wohl bald folgen würde. Ein paar Monate später tat er es.
Zuvor reiste er noch bis in sein 80. Lebensjahr sechs Jahre lang durch die Welt und gab währenddessen so viele Konzerte wie in den fünf Jahrzehnten seiner Karriere zuvor. Zudem spielte er mit „Old Ideas“ (2012), „Popular Problems“ (2014) und eben „You Want It Darker“ (2016) noch drei als sein „Spätwerk“ anzusehende Alben ein. Vierzehn Studio-Alben umfasst sein musikalisches Gesamtwerk insgesamt.
Seit David Bowies letztem Konzert am 25. Juni 2004 auf dem deutschen Hurricane-Festival bei Scheeßel, das er wegen eines Herzinfarkts – nach seinem letzten Song „Ziggy Stardust“ – abbrechen musste, ging er neben wenigen Gastauftritten bei David Gilmour (2006) und „Arcade Fire“ (2005 und 2013) nie mehr auf Tournee.
Am 8. Januar 2013 – seinem 66. Geburtstag – veröffentlichte er erstmals nach zehn Jahren eine neue Single mit dem Titel „Where Are We Now“, sowie ein Video von Tony Oursler, eine Hommage an seine Zeit in Berlin von 1976 bis 1979. Anschließend wurde am 8. März 2013 das Album „The Next Day“ veröffentlich
So manche glaubten an eine Art „Comeback“, doch es war lediglich der Beginn des Endes. Am 18. November 2015 wurde Bowies Musical „Lazarus“, mit Michael C. Hall in der Hauptrolle, zum ersten Mal aufgeführt; offizielle Premiere in Anwesenheit Bowies war am 7. Dezember 2015 in New York. Das Musical ist eine Adaption des Films „Der Mann, der vom Himmel fiel“ von 1976, in dem Bowie die Hauptrolle innehatte. Am 8. Januar 2016 erschien schließlich „Blackstar“, das 26. und letzte Studioalbum David Bowies. Zwei Tage später verstarb er an Leberkrebs, der 18 Monate vor seinem Tod diagnostiziert worden war. Die Diagnose hatte Bowie der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt.
Der Tod von Leonard Cohen sei „plötzlich, unerwartet, aber friedvoll“ eingetreten, hieß es in einer Erklärung von dessen Manager Robert Kory. Der 82-Jährige soll an den Folgen eines Sturzes am 7. November 2016 in seinem Haus in Los Angeles gestorben sein. Zur Ursache hatte es zuerst keine Angaben gegeben. Cohen hatte seit 2015 mit einer stetig nachlassenden Gesundheit zu kämpfen, sich über die Art seines Leidens allerdings weitgehend bedeckt gehalten. Später wurde bekannt, dass er an Blutkrebs und Rückenmarkskrebs litt.
Natürlich war es nicht das erste Mal, dass „Tod“ in der Rockmusik thematisiert wurde. Aber es war das erste Mal in der Pop-Geschichte, dass so viele namhafte Künstler innerhalb eines Jahres verstorben waren und einige von ihnen, Bowie und Cohen, die Konfrontation mit dem Tod tatsächlich im Zeitraum ihres unmittelbaren Ablebens zum Bestandteil ihres Spätwerkes machten. So waren bis auf Johnny Cash, der am 5. November 2002 mit „The Man Comes Around“ sein letztes Album zu Lebzeiten als viertes in der „American Recordings“-Serie veröffentlicht hatte, noch nie Künstler der Populären Musik mit dem Schreiben des eigenen Requiems umgegangen.
Cash hörte man 2002 auch an, dass er schwer krank war. Die Gebrochenheit seiner Stimme passte jedoch zum Grundton des Albums. Sein Gesang auf diesem Album ist fragil, zurückhaltend und würdevoll, ähnlich wie die Gesänge von Bowie und Cohen. Cashs 2002er Album dreht sich vorwiegend um Liebe, Tod und das Leben danach. Der Titelsong handelt vom Jüngsten Gericht und der Wiederkehr Jesu Christi und ist eines der letzten Stücke, die Cash schrieb. Für die erste Auflage der sogenannten „American Recordings“ im Jahre 1994 nahm Cash übrigens auch „Bird On A Wire“ von Leonard Cohen als Coverversion mit auf das Album.
2016 war es also nicht das erste Mal, dass man den Tod geschätzter wie liebgewonnener Musikerpersönlichkeiten betrauerte, und es wird auch nicht das letzte Mal gewesen sein.