Joe Cocker ist tot – Leonard Cohen und … Joe Cocker. Vor etwa zwei Stunden ging die Meldung über Joe Cockers Tod durch die sozialen Medien und Nachrichtensendungen dieser Welt. Was die beiden verbindet, sind noch immer, das was beider Leben ausmacht: Ihre Lieder. Nichts anderes schrieb ich in meiner Biografie über Joe Cocker „Mit Gänsehaut durch die Jahrzehnte“.

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Gerade überarbeitete ich meinen gestrigen Blog-Eintrag in Sachen Udo Jürgens und Leonard Cohen, suchte in meinem Archiv zu Berührungspunkten zwischen dem Verstorbenen und Leonard Cohen, da überrascht mich die Tagessschaumeldung vom Tod Joe Cockers. Joe Cocker ist tot. Den Kampf gegen die Dämonen von Drogen hat er gewonnen, den Kampf gegen den Krebs hat er verloren. Joe Cocker ist heute am 22. Dezember 2014 verstorben. Die berühmteste Reibeisenstimme der Welt ist verstummt.

Bezugspunkte zwischen Cohen und Cocker gibt es einige. Der wichtigste war die Musik.

„…Seit Anbeginn seiner Karriere hat Joe Cocker vordergründig Songs anderer Künstler interpretiert. Musikwissenschaftlich spricht man dabei von einer „Coverversion“ oder kurz „Cover“ und damit von einer zeitlich dem Original nachfolgende Neufassung eines Musikstücks durch einen anderen Interpreten. Dieser andere Interpret hieß Joe Cocker bei Songs wie z.B. „Like A Bird On A Wire“, das im Original vom kanadischen Rockpeten Leonard Cohen und bei „I Shall Be Released“ von der amerikanischen Songwriterlegende Bob Dylan stammt. Das wohl berühmteste Cover Joe Cockers ist „With A Little Help From My Friends“ von den Beatles, das Cocker mehr zu seiner eigenen Hymne machte, als zu dem, was es ist, nämlich ein Beatles-Song. Wie Cocker zum Interpret anderer Künstler geworden ist?

„Früher, in den 60er wäre ich wirklich lieber ein einfaches Bandmitglied gewesen. Aber in Sheffield gab es nicht viele Sänger, nur massenweise Gitarristen. Es war ganz anders als in Liverpool, die mehr eine Blues-Stadt war. Wir haben Coverversionen gespielt, und ich habe dem Schreiben nie die nötige Aufmerksamkeit gewidmet. Also bin ich Sänger geblieben…“

aus: JOE COCKER – Die Biografie – Mit Gänsehaut durch die Jahrzehnte – HANNIBAL Verlag, von Christof Graf

„…Ich wünsche mir oft, die Leute könnten den ganzen Entstehungsprozess meiner Songs nachvollziehen: Das heißt, sie würden entweder die Originale kennen oder die ersten Demos hören können. Dann würden sie sehen, wie weit meine letzte Version davon entfernt ist. Am Schluss ist es ein völlig anderes Ergebnis. Auf Leonasrd Cohen stand ich schon immer. Irgendwo habe ich sogar noch eine neue Nummer von ihm, die ich vielleicht irgendwann noch einmal aufnehme. Leonard singt in einer so ungewöhnlichen Tonart, daß man kaum sagen kann, ob ein Song eine Melodie hat oder nicht, aber sie sind alle ganz gut geworden.“

Manche Coverversionen unterscheiden sich im Arrangement und Sound, manche halten sich streng an das Original. Bei den drei Cohen-Songs ist „Like A Bird On a Wire“ eher einer, der sich vom Original unterscheidet und die beiden anderen halten sich eher an die Originalvorlage. „Ich bin kein Songwriter. Ich fühle dabei, wie ein Zuhörer. Ich lasse mich von der Mystik eines Songs einfangen und möchte ihm meinen eigenen Ausdruck verleihen. Es ist, als würdest du jemand anderem ein Buch vorlesen, das du selbst zwar nicht geschrieben hast, es aber total gut findest. Für den Zuhörer ist es, als würdest du ihm seine eigene Geschichte erzählen. Manchmal ist die Geschichte eine glaubwürdige, manchmal nicht. Aber die richtige Songauswahl ist immer wie eine Schlacht. Leonards Song „First We Take Manhattan“ z.B. kannt ich zunächst nur in der Version von Jeniffer Warnes, also auch nur als ein Cover vom Original. Aber es hat mir auf Anhieb gut gefallen, weil es ein wirklich guter Song ist. Und je öfters ich mir dann das Original anhörte, umso mehr wurde mir die Tiefe des Textes bewusst. Ein Grund also mehr, diesen grossartigen Song von Leonard aufzunehmen…“

aus: JOE COCKER – Die Biografie – Mit Gänsehaut durch die Jahrzehnte – HANNIBAL Verlag, von Christof Graf

„Mein Leben bestand nicht immer aus Glück und Erfolg“

hiess eine meiner Überschriften in dem HIFI-MAGAZIN HÖRERLEBNIS, als ich 2010 über seine HARD KNOCKS-Tournee schrieb, welche auch in meiner 2014er Biografie „Mit Gänsehaut durch die Jahrzehnte“ dokumentiert ist. Vier Jahre später hat sie noch immer Bedeutung…

Woodstocklegende Joe Cocker mit HARD KNOCKS auf Tournee

Joe Cocker ist ein Großmeister von Balladen, die im weiten Feld des Rhythm & Blues angesiedelt sind. Egal, ob die Songs speziell für sein eigenes Timbre geschrieben wurden, oder ob er sich an Klassikern der Rockgeschichte heranwagt, es ist einfach genial, wie er selbst aus einem eher geradlinig strukturierten Popsong das beste herausholt. Beispiele hierfür finden sich genug. Doch es waren nicht immer nur Glück und Erfolg, die Joe Cocker auf seinem bisherigen Lebensweg begleiteten. Seine Geschichte ist letztendlich auch Abbild vom Hoch und Tief des Rock`n`Roll. Cockers Stimme klingt immer noch wie zu Beginn seiner Karriere: Urgewaltig und mitreißend. Seine für ihn typische Gestik, nämlich mit Händen und Armen zu kommunizieren, macht ihn unverkennbar.

Joe Cocker ist ein moderner Klassiker. Mit den zahlreichen Gold- und Platinauszeichnungen zählt der mittlerweile 66-jährige Cocker zu den wenigen absoluten und unbestrittenen Superstars in Europa, die mit jeder Veröffentlichung ihr Publikum aufs Neue begeistern. In Saarbrücken begann er am 23. Oktober 2010 seine Tournee, die ihn seitdem erneut um die Welt reisen lässt.

Kerngesund und auf der Höhe seines Schaffens genießt der am 20. Mai 1944 als John Robert Cocker in Sheffield (England) geborene Künstler seinen seit 20 Jahren anhaltenden Erfolg. „Viele Leute fragen mich nach Woodstock, was es für mich bedeutet“, meint Joe Cocker und erinnert sich nur noch an die infernalische Interpretation der US-Hymne, die damals Jimi Hendrix als apokalyptischer Vorreiter vom Niedergang eines Lebensgefühles gen Himmel schickte. Der ‚Star Bangled Banner‘ war wie ein Abschiedssignal – werft eure Blumen weg, es ist vorbei“, interpretiert Cocker Hendrix. „Die Leute haben eingesehen, dass sie das System nicht von außen bekämpfen können, dass man Teil des Systems werden muss, um es von innen heraus zu verändern. Ich nehme an, dass die Leute genau das in den letzten 30 Jahren getan haben. Ich treffe dauernd Leute, die in Woodstock waren. Die Typen haben kaum noch Haare, tragen Anzüge und arbeiten als Ärzte und Anwälte, ich dagegen habe immer nur Musik gemacht.“

Joe Cocker lächelt, wenn er hinzufügt: „Und zwar für alle diejenigen, für die Popmusik ein Ventil für das gesellschaftliche Ungleichgewicht war.“

Wenn sich heute Joe Cockers Stimme dem expressiven Zenit eines Songs nähert, sich sein Rückgrat weit zurückbeugt, er seine Arme rudern lässt, so als würde er Halt vor irgendetwas suchen, ist das keine theatralische Geste, sondern Ausdruck eines Stücks seiner persönlichen Rockgeschichte.

Getreu dem Motto „It`s the singer, not the song“ erlebt Joe Cocker 1982 den Beginn seines Comebacks. Zusammen mit Jennifer Warnes macht er den Song „Up Where We Belong“ zum Superhit und veröffentlicht das Album „Sheffiel Steel“. Was folgt, ist eine nunmehr 40jährige zweite Erfolgsstory im Leben des Künstlers, die durch Hits wie „You Can Leave Your Hat On“ (1986), „Unchain My Heart (1987) und „When the Night Comes“ (1989) untermauert wird.

Und auch in den 90-er Jahren ist der „Stehaufmann des Rock“ lebendiger und authentischer denn je. Als „die berühmteste weiße Blues-Stimme“ zollen ihm sämtliche Größen der Szene Respekt. Künstler wie Ray Charles, Elton John oder Prince liefern ihm Songmaterial, das er zu Goldenen Schallplatten macht.

Für seine Verdienste um die Musik verlieh ihm die Universität seiner Heimatstadt Sheffield sogar die Ehrendoktorwürde. Keine Frage, Joe Cocker ist im Kampf des Lebens als ein Sieger hervorgegangen. Und vielleicht ist es genau das, was man aus jeder seiner Interpretationen heraushört. Für sein Publikum ist und bleibt er der ehrlichste und direkteste Sänger ohne Verschleißcharakter. Kaum ein anderer Künstler weiß Ahnung und Vermutung emotionaler Exzesse besser zu vermitteln und dabei auch noch generationsübergreifend zu überzeugen. Cocker scheint das zu sein, was die Magie der Rockmusik ausmacht. Auf dem aktuellen Album „Hard Knocks“ legt er davon erneut Zeugnis ab.

Er hat 21 Studio- und 4 Live-Alben veröffentlicht. Aber „Hard Knocks ist wesentlich poppiger als die Veröffentlichungen der vergangenen Jahre“, erzählt er. „Die Aufnahnen der zehn neuen Stücke entstanden in Los Angeles unter der Regie von Matt Serletic, der auch schon Carlos Santana produzierte. Ich sagte ihm, dass ich eine moderne Platte machen wollte, allerdings nicht zu modern.“ Bei einem Song arbeitete Joe Cocker mit Nashville-Legende Tony Brown, der u.a. Pianist für Elvis Presley gewesen war. „Ich wurde für meine Coverversionen oft kritisiert“, erinnert er sich. „Mitten in der Produktion meinte einer: ,Okay, Joe, ich denke, die Leute erwarten wohl ein paar Coverversionen von dir‘ – und es gab auch Diskussionen über ein Duett mit Joss Stone. Als ich dem Label allerdings die Stücke ablieferte, waren die Leute dort komplett happy damit, und ich dachte mir: ,Na, das ist doch mal eine Abwechslung.‘ Wir haben nicht allzu viele sanfte Balladen auf dem Album. Matt hatte mich gebeten in einer bestimmten Tonart zu singen, und da waren einige Noten dabei, die etwas zu hoch für mich sind. Ich drucke mir die Texte immer aus, aber als ich auf das Blatt hinüber sah, konnte ich nichts erkennen. Ich hatte ziemlich große Angst und musste zum Arzt gehen. Sie sagten, ich hätte einen ,Schlag‘ im Auge – das ist allerdings nicht zu vergleichen mit einem ,Hirnschlag‘, aber es ist nie wieder ganz geheilt. Die Ärzte meinten, es sei wohl ein Stück Plaque (eine Wandanlagerung an der Innenschicht arterieller Blutgefäße) abgebrochen und oben in einem Blutgefäß hängen geblieben. Dadurch entstand eine Art Wolke in meinem Auge, und das Blut kommt nicht zur Netzhaut durch. Das ist natürlich nur eine kleine Nebengeschichte, aber jedes Mal, wenn der Song erwähnt wird, denke ich: ,Oh ja, DER.'“.

Anders als viele Musiker, die jede neue Veröffentlichung als ihre bislang beste preisen, macht sich Joe Cocker nicht viel aus dem üblichen „Next Level Shit“-Hype. Viel lieber lässt er den Hörer urteilen.

Dennoch seien einige Frage erlaubt:

„Ein Jahr ohne Joe Cocker ist kaum mehr denkbar. Fühlen Sie keine Verschleißerscheinungen?“

Joe Cocker: Nicht, wenn das „Unternehmen“ Rock-Business heißt. Nein, aber ernsthaft, jedes Album, jede Tournee ist immer wieder ein neues Abenteuer mit seinen eigenen Reizen, denen du dich nicht entziehen kannst. Das ist der Grund, warum du diesem „Unternehmen“ so lange treu bleibst. Letztendlich ist Musik mein Leben, die Definition meines Daseins, das verschleißt sich so schnell nicht.

Und Welche Erinnerungen haben Sie an Woodstock 1969?

Joe Cocker: Es war wie auf Droge gewesen zu sein, ohne Drogen genommen zu haben. Es war alles so friedlich, fantastisch und magisch. Überall gute Laune und ich war überhaupt nicht nervös.

Sind Sie heutzutage nervös?

Joe Cocker: Nicht mehr, wenn mich der Conferencier angekündigt hat.

Mittlerweile ist Ihr Publikum generationsübergreifend. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen im immer kurzlebigeren Musikmarkt?

Joe Cocker: Das hat einen einfachen Grund: Die Kids hören die Musik im Haus oder Auto ihrer Eltern. Einige der Songs dringen in ihr Ohr und bleiben darin. Das ist die Philosophie eines jeden guten Rock-Songs.

Was erzählen Sie ungern?

Joe Cocker: Manchmal komme ich mir wie eine Journalistentrophäe vor. Jeder will mich mal nach meinen Alkohol- und Drogenexzessen gefragt haben. Man muss nicht wirklich unglücklich sein, um den Blues singen zu können. Man muss nur mit dem Leben klarkommen können. Ich habe mehr als 30 Welttourneen rund um den Globus absolviert, und ich bin glücklich darüber, dass es immer noch ein Publikum gibt, das mich hören möchte.

Sie machten bereits drei Songs von Leonard Cohen zu Hits: „Bird On a Wire“ (1972), „I`m Your Man“ (1989) und „First We Take Manhattan“ (1999) – warum gerade drei Songs von Leonard Cohen?

Joe Cocker: Bevor ich mich dazu entschließe, eine Coverversion aufzunehmen, muss ich überzeugt sein, dass ich dem Song etwas hinzufügen kann, das konnte ich bei Leonard Cohen tun.

Was macht für Sie die Magie eines guten Rocksongs wie z.B. „With A Little Help From My Friends“ aus?

Joe Cocker: Neben der Melodie, die nicht nur ins Ohr, sondern auch durch den ganzen Körper zu gehen hat, ist es die Geschichte, die du erzählst. Sie muss zu dir passen und man muss sie dir abnehmen.

In dem Song „Sail Away“, der jahrelang für die „Beck`s Bier“ – Werbung verwendet wurde, singen Sie „Sail away and dream your dream.“ Wohin würden Sie gerne segeln und welchen Traum träumen Sie?

Joe Cocker: Am liebsten „segele“ ich nach Hause. Ein Zuhause zuhaben ist für mich der wertvollste Traum, den man haben kann. Ansonsten lebe ich immer nur für den Moment.

Diese Momente sind nacherlebbar, wenn Joe Cocker auf der Bühne steht. Dann, wenn das Saallicht erlischt und Joe Cocker von seiner derzeit sechsköpfigen Begleitband mit zwei sexy Sängerinnen mit „Get On“, einem der zehn neuen Songs vom neuen Album „Hard Knocks“, angekündigt wird. Dann, wenn der 66jährige bei „Feelin‘ Alright“ sein Jacket auszieht und die Hemdsärmel hochkrempelt und das macht, womit er neben seiner unverkennbaren Stimme weltberühmt wurde: Er fuchtelt mit seinen Händen und Armen fast tranceartig herum, um sich scheinbar in die Tiefe seiner Songs hineinzutransportieren. Das Publikum zolltr ihm mit tosendem Applaus Respekt. Doch das war nicht immer so.

Seit Ende der 60er gilt Joe Cocker zwar als unkaputtbare Woodstocklegende. In den 70ern allerdings gab er sich ausschweifend Alkohol und Drogen hin und soff sich fast sein Hirn weg.

Zu Beginn der 80er schaffte er es, dem Teufel gerade noch mal von der Schippe zu springen und legte ein beeindruckendes Comeback mit dem Jennifer Warnes-Duett „Up Where We Belong“ hin. Seitdem schaffte es Joe Cocker mit jedem seiner bisher 22 Alben jeweils mindestens einen Topten- oder gar Nr.1-Hit mit Gänsehautcharakter abzuliefern. Und genau diese Gänsehaut weiß Cocker auch 2010 bei seinen aktuellen Konzerten noch immer zu fabrizieren. Egal, ob bei den Evergreens „Summer In The City“ und „You Are So Beautiful“ oder bei den All-Time-Klassikern „Leave Your Hat On“, „Unchain My Heart“ oder seinem auch 41 Jahre nach Woodstock noch immer funktionierenden „Urschrei“ bei „With A Little Help From My Friends“: Cocker weiß, warum die Fans zu ihm kommen und gibt ihnen, was sie brauchen – seine alle menschlichen Gefühlswelten ansprechende Stimme bei soul- und bluesdurchdrängten Rocksongs mit Ausnahmecharakter.

Nach etwa 100 Minuten ist die Reise durch die Jahrzehnte, vollgepackt mit unvergesslichen Hits, vorbei und Joe Cocker hat sich und seinen ebenso durch die Jahrzehnte gereisten Fans wieder einmal auf elegante Weise bewiesen, wie zeitlos Vergänglichkeit sein kann.

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