COHEN & DYLAN (Vol.1) : Der Versuch, einen Vergleich anzustellen – Dylan & Picasso, Cohen & Matisse

Dylan & Picasso, Cohen & Matisse. 

Bob-Dylan-by-Christof-graf-2012

Foto: Christof Graf

Zu Bob Dylan fühlte sich Cohen hingezogen, seit er dessen Platten Mitte der 60er Jahre zum ersten Mal hörte. Cohen bemerkte 1967 gar einmal, daß er „so etwas wie der Spiegel Bob Dylans“ sei, und selber am meisten davon beeindruckt wie auch überrascht wäre, weil ihm manches von Dylan sehr bekannt vorkäme. Er sei wie eine Figur aus einem seiner Bücher, die lebendig geworden wäre. Irgendwie hätte er das Gefühl gehabt, als ob er ihn „erfunden“ hätte. „Als ich ihn das erste Mal gehört habe, habe ich ihn sofort verstanden. Ich habe verstanden, was er tat. Ich sah, daß er eine Rolle einnahm, in der ich mich gerne gesehen hätte. Ich habe mich ermutigt gefühlt, als ich seine Musik hörte. Denn wenn man Dylans Musik zuhört, hat man das Gefühl, neue vielleicht nicht gekannte Energien freigesetzt zu bekommen. Das macht den Wert eines künstlerischen Werkes überhaupt aus.“

Eine ähnliche Sichtweise ergab sich auch bei einem Gespräch zwischen dem Autor und Paul Williams, bei Dylans Konzert in Prag 1995: „Erst, wenn man auf dem Weg ist, das Konzerterlebnis als ein Stück Kunst zu erfahren, ist man auf dem Weg zu verstehen, daß mit dem Konzert – unabhängig von der Tonaufnahme – der eigentliche Akt des Kunstschaffens stattfindet.“ Künstler wie Dylan oder auch Cohen schaffen mit jedem Auftritt Kunst und vergrößern damit ihr künstlerisches Werk. Cohen verglich Dylan 1988 in einem Interview mit dem MUSICIAN MAGAZINE gar mit Pablo Picasso: „Nobody is identifying our populär singers like Matisse or Picasso. Dylan’s a Picasso that exuberance ränge and assimilation of the whole history of music.“

In einem anderen Interview mit dem Autor bemerkte Cohen auf die Frage, mit wem er dann zu vergleichen sei, wenn Dylans malerisches Pendant Picasso sei: „Natürlich Matisse“. Der Vergleich Dylans mit Picasso ist in der Tat legitim. Gerade wenn man das Dylan’sche Wortgut der 60er Jahre untersucht, läßt sich die Nähe Dylans zum Surrealismus nicht leugnen. Hält man sich an die Definition des Surrealismus, als psychischem Automatismus, ist die Untersuchung dieser Analogie interessant. In frühen Dylan-Songs wie z.B. „Farewell Angelina“ oder in „Visions Of Johanna“ sind ähnlich bizarre und skurille Bilder zu erkennen, wie sie Picasso mit Zeichenstift und Pinsel schuf. Ein weiterer Ansatzpunkt ist seine von Picasso bekannte Produktivität. Ähnlich wie der unentwegt kreative Picasso, der selbst nebenbei ständig zumindest irgendetwas skizzierte, malte er fast täglich oder war stets anderweitig künstlerisch tätig. Er arbeitete, weil sein Inneres aus ihm heraus mußte. Dies ist die Motivation des Handelns. Er hat keine andere Wahl, als seine Kreativität herauszulassen. Zudem ist beiden Künstlern wohl auch der Wesenszug des Egozentrikers gemein.

Die jeweiligen Biographien spiegeln sich in den Werken der Künstler wieder. Neue Welten werden erschlossen. Beide Künstler haben einen großen Fundus unveröffentlichter Werke. Beide arbeiten bzw. arbeiteten an bereits bestehenden Werken immer wieder von Neuem und schufen mit dieser Bearbeitung auch wieder neue Werke. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß gerade bei dieser von Picasso bekannten Methodik das alte, vom Betrachter eigentlich schon für perfekt gehaltene Werk in dem Prozeß der Bearbeitung und des Neuschaffens völlig zerstört wird. Statt dessen entsteht unter den Händen Picassos ein höher stilisiertes, abstraktes, entfremdetes Werk, dem der in diesen Dingen (scheinbar) naive Betrachter zuerst einmal den Untergang des vorhergehenden, weniger abstrakten und dafür greifbareren vertrauteren Werkes vorwirft. Gerade an dieser Visualisie-rung des Prozesses der Neuschaffung durch Destruktion des ursprünglichen

Werkes wird die Parallele zu Dylan sichtbar und gerade diese Analogie führt zum Verständnis des Gesamtwerkes von Bob Dylan in den 12 Jahren, die die Never Ending Tour umspannen. „Tangled Up In Blue“ ist ein solches Beispiel. Der Song wurde 1974 geschrieben und 1975 veröffentlicht. 1978 und 1984 änderte Dylan den Text und präsentierte erst 1988 den Song wieder in der UrFassung. Auch Cohen weiß seine Werke im Laufe der Zeit zu variieren, was z.B. die beiden Fassungen des Song „Chelsea Hotel #1″ und „#2″ mit unterschiedlichen Strophen beweisen.

Auch der Song „Democracy“ unterliegt live einer Wandlung. Bei seiner ’93er ,,Future“-World Tour offerierte Cohen mehr als die sechs vom Album bekannten Strophen. Das Script hat 80 Strophen. Doch Cohen ist mehr als Dylan der totale Formalist. Nach außen verkörpert er die Suche nach Perfektion, im Innern praktiziert er das totale Streben nach Freiheit.

Ähnlich wie z.B. Matisse präferiert Cohen diese extreme Form der kultivierten Lebensart, woraus er seine Methode entwickelt. Mit dem totalen Formalismus die totale Freiheit anzustreben, um so zu einem wahren Wilden zu werden, ist sein Ziel. Seine Art des gentlemanliken Auftretens und die Form seiner Kunst unterstützt den Vergleich mit Matisse. In dem Gewand der Bourgeoisie agiert er als Enfant Terrible. Im Erreichen der totalen Kontrolle über sich gelangt er zu Bildern, die ohne diese vorherige Kontrolle, nie unkontrolliert wirken könnten. Wenn Cohen Abend für Abend dieselbe Geschichte erzählt, scheint es, als ob er seine Spontanität hinter einem durchdachten Konstrukt verbirgt, womit sich der Kreis der Analogien, Dylan und Picasso, Cohen und Matisse schließt.

Quelle: Graf, Christof: Bob Dyaln – Man On the Road – The Neverending Tour 1988-1999, 2. Aufl., 2001, S. 33-35

http://www.leonardcohen.de/dylan.html

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